30/12/2024 0 Kommentare
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
# Monatliche Andachten
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
von Superindent Dr. Olaf Reinmuth
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
Erster Brief an die Thessalonicher, 4,21
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Wort steht als Jahreslosung über dem Jahr 2025. Jahreslosungen sind Sinn-Überschriften für ganze Jahre. Sie bringen etwas auf den Punkt, was von grundsätzlicher Bedeutung ist. Vor allem am Anfang eines Jahres spielen sie eine Rolle. Sie können uns innerlich ausrichten, wenn Orientierung nötig ist. Sicher wird das in 2025 öfter nötig sein.Die Jahreslosung 2025 ist ein Wort für die Protestantinnen und Protestanten unter uns, wie ich finde. Was ist damit gemeint?
Gerne bezeichne ich mich selbst als Protestant, wenn ich nach meiner Glaubensrichtung gefragt werde. Ich sage auch schon mal, dass ich evangelisch bin oder ein Christ, wenn es ein allgemeinerer Zusammenhang ist. Aber ganz lieb ist mir „Protestant“ als Selbstbezeichnung.
Protestant – das ist einer, der ein Bekenntnis ablegt, der sich zum Evangelium von Jesus Christus bekennt. Protestantisch ist aber auch jemand, der oder die selbst nachdenkt über den Glauben, die oder der kritisch eingestellt ist, die Dinge und die Glaubenssätze unterscheiden kann, der oder die weiß, was sie glaubt und selbst die Verantwortung dafür übernehmen kann. Der oder die sich nicht so viel vorsagen lässt, wenn es um Glaubensdinge geht. Protestanten sind selbst ihrer Kirche gegenüber kritisch. Das gehört auf jeden Fall dazu.
Kritische, aufgeklärte Leute, die von Gott überzeugt sind, aber das Denken nicht aufgegeben haben. Das entspricht meiner Vorstellung vom Glauben in der heutigen Zeit. Davon habe ich mich immer schon angesprochen gefühlt. Das bin ich gerne. So verstehe ich mich selbst. In der Katholischen Kirche gibt es sicher auch viele Menschen, die in diesem Sinn protestantisch eingestellt sind. Aber für Kirchenmitglieder einer evangelischen Kirche gehört das zur DNA ihres Glaubens.
Vor diesem Hintergrund höre ich die Jahreslosung. Diesen gedanklichen Zusammenhang möchte ich bei Ihnen aufrufen und stärken.
Paulus schreibt den Satz an die Gemeinde im griechischen Thessaloniki. Am Ende seines Briefes, vor der Segensformel, gibt er eine Menge Ratschläge und Hinweise. „Ermutigt die Ängstlichen, kümmert euch um die Schwachen, und habt Geduld mit allen.“ Gerichtet sind die Hinweise an die Glieder der christlichen Gemeinde. Aber sie gehen darüber hinaus. „Achtet darauf, dass niemand Böses mit Bösem vergilt. Bemüht euch vielmehr stets, einander und allen anderen nur Gutes zu tun.“ Sich selbst in der Motivation und im Verhalten zu überprüfen und zu verbessern, ist das Ziel. Christen sind nicht die besseren Menschen, aber sie sollen auch nicht durch zweifelhaftes Verhalten auffallen. Ganz Grundsätzliches kommt in den Blick: „Betet unablässig! Dankt Gott für alles!“ „Unterdrückt nicht das Wirken des Heiligen Geistes!“ In Ansätzen wird eine christliche Ethik erkennbar. Viel erinnert an Jesus selbst: sein Wort von der Nächstenliebe, die mit der Gottesliebe und der Selbstliebe im Gleichgewicht sein soll; seine Hoffnung auf die Nähe Gottes; die Überwindung des Bösen durch das Gute, das ich denke und tue.
Mittendrin: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Also eine Ebene tiefgründiger: Kritisch auf sich selbst reflektieren, überlegen, was ich glaube, was ich tue, was sinnvoll, was gut ist. Das protestantische Prinzip!
Ohne Überlegung geht es nicht. Was gut und richtig ist, will immer wieder herausgefunden werden. Die Basis ist klar, aber die Welt verändert sich. Manches muss angepasst werden. Die Jahreslosung fordert auf, die Dinge laufend zu prüfen. Ein Wort für Protestantinnen und Protestanten!
Schon in der Bibel gibt es große Beispiele für Korrekturen und Veränderungen: Das Neue Testament sieht im Menschen Jesus viele der Hoffnungen der Jüdischen Bibel erfüllt; Paulus setzt sich über die alten Speisegebote hinweg und weitet den Zugang zu Gott aus. Und später, noch gar nicht so lange her: Frauen können Pfarrerinnen werden. Wir ordnen Homosexualität anders ein als früher, erkennen diese Lebensform als gleichwertig an. Wir Christen, wir Protestanten haben uns korrigiert.
Veränderungen auf der einen Seite. Aber eine ganze Menge Anerkennung steckt in diesem einfachen Satz andererseits auch drin. Man muss das Rad nicht neu erfinden. Man kann auf das aufbauen, was an Gutem in der Welt schon vorhanden ist. Die Jüdische Bibel hat vorgelegt und bleibt maßgeblich. Die Menschen der Antike waren klug. Ihre Gedanken werden aufgenommen, wo sie passen. Gute Entwicklungen, gute Grundsätze sollten einfach übernommen werden. So legt es Paulus in diesem ältesten Brief des Neuen Testaments nahe. Wir sollten uns diese Haltung zu eigen machen.
Also: nutze deinen Verstand, versuche die Dinge klar zu kriegen, prüfe, gebe weiter, verändere. Mache das nicht alleine, sondern mit den anderen zusammen, die im gleichen Geist unterwegs sind.
Martin Luthers erste seiner 95 Thesen geht in die gleiche Richtung: Überprüft euch selbst, dauernd, verändert, was verändert werden muss. Behaltet das, was gut ist. Veränderungen sind möglich!
2025 wird für uns ein Jahr der Überprüfung und Neuausrichtung unserer Arbeit im Kirchenkreis werden. Wie machen wir Dinge und warum machen wir es so? An welchen Plätzen sollen wir in Zukunft kirchliche Arbeit machen? Wie können wir Menschen von heute erreichen? „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Ich höre die Ermunterung zur Selbstkritik an uns als Organisation. Wo läuft es gut? Wo läuft es schlecht? Wie lässt es sich verändern? Was brauchen die Leute wirklich? Christinnen und Christen steht diese Art der Selbstkritik gut an. Sie müssen die Welt nicht neu erfinden. Sie können das kopieren, was an anderer Stelle funktioniert. Ein Ergebnis der neuen Kirchenmitgliedschaftsstudie ist: Menschen erwarten von uns große Veränderungen der Kirche als Organisation. Verlässlichkeit, klar, Präsenz, auch klar, aber durchaus anders als bisher. Die Erwartung ist noch vage. Aber der Impuls, Neues auszuprobieren, ist gesetzt.
Es klingt nach kritischer Verstandesarbeit, was die Jahreslosung aufruft. Aber auch der Verstand ist eine Gabe unseres Schöpfers. Er muss ernsthaft und gut eingesetzt werden. Darauf liegt die Verheißung. Die Jahreslosung ermuntert uns zum Prüfen. Ich höre darin deutlich ein Hinweis auf Veränderungsmöglichkeiten, auf Experimente. Es muss nicht alles so bleiben, wie es ist.
Mir gibt das intellektuellen Schwung, mich kritisch auseinanderzusetzen. Das ist ein sehr guter Impuls, wie ich finde. Gott befohlen!
Ihnen einen guten Rutsch und ein gesegnetes Jahr 2025.
Herzlich, Olaf Reinmuth
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