„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Genesis 16,13
von Superintendent Dr. Olaf Reinmuth
Das neue Jahr bringt uns eine neue Losung. Dieses Mal das schöne Wort von der Aufmerksamkeit Gottes fast ganz vom Anfang der Bibel. Es ist eines meiner Lieblingsworte. Ich kenne es gut, verwende es oft und beziehe mich ständig darauf. Denn die Vorstellung von Gott spricht mich an, die darin zum Ausdruck kommt. Inklusive Abgrenzung.
Gott ist keine Kraft, die ohne Ansehen der Person handelt. Ja, ich stelle mir Gott als handelnd vor. Gott geht mit mir und mit anderen um, mehr oder weniger direkt. Gott nimmt die Menschen aufmerksam wahr. Gott kümmert sich um Einzelheiten. Das ist mir an unserem Glauben sehr wichtig.
Gott sieht mich. Das ist die Voraussetzung dafür. Durchaus individuell. Ich weiß natürlich, dass es Milliarden von Menschen gibt. Wie soll Gott da alle nebeneinander beachten können? Aber so stelle ich mir das nicht vor. Das ist eine Grenze für mein Bild. Mir ist der individuelle Bezug sehr wichtig. So wie Gott in Jesus ein einzelner Mensch geworden ist, nimmt er auch die einzelnen Menschen wahr. Ein Kern des christlichen Glaubens. Ich denke, dass das speziell christlich ist. Dass in anderen Religionen der einzelne Mensch nicht so sehr im Zentrum steht.
Gott nimmt ihn oder sie wahr und kümmert sich. Aber nicht, indem er ständig alles richtet oder geradebiegt. Eher so, dass er für einen roten Faden sorgt. Es „fügt“, sagen manche Leute dazu. Dass er es mir und anderen möglich macht, einen roten Faden zu finden in dem, was mir passiert oder was überhaupt passiert. So eine Art Gesamtzusammenhang. Ein Sinn, so kann ich dazu auch sagen. Wenn ich weiß oder ahne, dass Gott mit einer Entwicklung in Verbindung steht, dann bekommt das eine Wendung ins Positive. Nicht immer sofort. Manchmal muss ich auf die positive Stimmung lange warten. Aber oft ist das dann doch irgendwie schon passiert.
Gott ist wie eine Person vorgestellt, wie ein Gegenüber, dem oder der ich wichtig bin. Nicht einfach eine Nummer unter vielen anderen Nummern. Nicht einfach jemand, auf den oder die es im Grunde gar nicht ankommt. Ich zähle und es kommt auf mich an. Gott ist es wichtig, wie ich lebe, was ich denke und tue.
Gottes Blick ist genau, aber auch wohlwollend. Eher aufmunternd als abschätzig. Tilmann Moser hat über seine „Gottesvergiftung“ geschrieben. Ihm wurde als Kind ein Gottesbild eingepflanzt, das an diese Vorstellungen anknüpft, damit aber Strafe verbindet. „Gott sieht alles“, ist so ein Satz. Wo die Eltern nicht mehr hingucken können, da wird Gott eingesetzt. Wie der Chef-Controller, der alles überwacht.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass es immer noch viele Menschen gibt, die dieses Bild von Gott im Kopf haben: Gott sieht alles und wartet nur auf meine Fehler, damit er mich fertig machen kann. Die Bibel erzählt das anders. Vor allem im Neuen Testament ermuntert Gott, päppelt, zieht die hoch, die es umgeworfen hat, bestärkt und gibt gute Impulse, selbst da, wo es streng zugeht.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Gott sieht mich wohlwollend und ermunternd an. Ist das nicht ein bisschen naiv oder sogar narzisstisch? Wie wenn die Welt um mich kreisen würde. Dabei verlieren Kinder diesen Glauben, spätestens wenn sie jugendlich werden. Wir wissen genau, dass wir nicht im Zentrum des Lebens stehen. Dennoch fühlen wir uns beachtet, gerade auch von Gott, der höchsten Instanz des Lebens. Das macht christliches Lebensgefühl aus. Es ist nicht heroisch gefärbt: du musst es halt ohne Sinn aushalten. „Reiß dich zusammen und verzichte auf irgendeinen Sinn.“ Viele Menschen sind so eingestellt. Als Christ bin ich hier positiv gestimmt: Es gibt Gott. Gott hält mich am Leben. Gott gibt dem Ganzen einen Sinn. Durch alle meine Zweifel und Anfechtungen hindurch halte ich daran fest. Das ist mein Glaube und ist die Grundlage meines Lebens. Das macht mich froh und gibt meinem Leben eine Grundhoffnung.
Was für ein schönes Wort über einem Jahr, das düster beginnt und hoffentlich nicht düster bleibt. Gott befohlen!
Herzliche Grüße, Olaf Reinmuth
Andachten 2023
Januar | Olaf Reinmuth | „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ |
Februar | Carsten Fiefstück | Glocken |
März | Claudia Günther | Verbunden mit dem Leben |
April | Alexandra Hinsel | „Was für eine *-Idee?“ |
Mai | Anke Hülsmeier | „Das war gar keine richtige Osternacht ...“ |
Juni | Hanno Paul | Wer ist die Kirche? |
Juli | Gabriele Steinmeier | Gesten und Glaube |
August | Jutta Hoppe | Sommer, Sonne, Urlaub |
September | Bettina Fachner | Unterbrechung |
Oktober | Kai-Uwe Spanhofer | Dankbar für die Fülle |
November | Michael Heß | „Jesu Sahay“ - Jesus hilft |
Dezember | Manuela Müller-Riepe | Frieden |